Senderos über „Traumerfüllung“ bei Arsenal, den „schüchternen Cesc“ & Rehas als „Boxkampf“ (2024)

05.03.2022 - 10:49 | Quelle: Transfermarkt.de | Lesedauer: unter 8 Min.

Ex-Profi im Interview

Senderos über „Traumerfüllung“ bei Arsenal, den „schüchternen Cesc“ & Rehas als „Boxkampf“ (1)

©TM/IMAGO

Ob in den 60er-, 70er-, 80er- oder den 90er-Jahren– in all diesen Epochen gehörteServette Genf zu den großen Namenim Schweizer Fußball. Insgesamt 17 Landesmeistertitel konnte sich der Verein vom Genfer See sichern, dazu gesellen sich zehn nationale Pokaltriumphe. Doch Anfang des neuen Jahrtausends erfolgte der Abstieg des so traditionsreichen Klubs. Bis in die Drittklassigkeit wurden die „Grenats“ durchgereicht, zusätzlich bedrohten finanzielle Probleme den Fortbestand des Vereins.


In den letzten Jahren erfolgte der Turnaround und die Rückkehr in die Schweizer Erstklassigkeit sowie das Vorrücken in die Spitzengruppe der Liga. Zu verdanken hat man diesen Erfolg unter anderem dem jetzigen Cheftrainer Alain Geiger, aber auch Philippe Senderos, der nach seiner langen und abwechslungsreichen Profikarriere seit 2020 das Amt des Sportdirektors bekleidet. Bei Transfermarkt spricht der frühere Verteidiger über seine Zeit beimFC Arsenal und warum er sich damals gegen denFC Bayern entschied, seine Verbindung zuCesc Fàbregasund seine Ziele mit Servette.


Mitarbeiter

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P. Senderos Alter: 39

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Servette FC


Alpenpanorama im Hintergrund, traumhafte Seeuferwege, dazu eine einzigartige Landschaft: Der Genfer See und seine Umgebung gelten als Inbegriff von Leichtigkeit und Lebensfreude. Als Philippe Senderos Mitte2020 die Anfrage von Servette Genf erreichte, er solle neuer Sportdirektor werden, kamenbei ihm sofort die Erinnerungen an lange Spaziergänge an eben jenem See hoch. Vor seinem ersten Einsatz als Jungprofi bei Servette suchte er bewusst die beruhigende Wirkung dieses Ortes. In der Saison 2001/02, vor rund 20 Jahren, durfte Senderos gegen den FC Zürich debütieren. Am Ende stand er genau eine Minute auf dem Platz.



Das Spiel sollte in jenem Augenblick keine große Bedeutung besitzen, doch war dies der Startschuss zu einer großen Karriere. Nach nur 27 Partien im Servette-Dress erfolgte,im Alter von gerade einmal 18 Jahren, der Wechsel zum FC Arsenal. An seinen ersten Tag in London und bei den „Gunners“ kann er sich noch gut erinnern. „Ich war überwältigt von der Stadt und vom Arsenal-Trainingskomplex. Alles war so groß und gefühlt an jeder Ecke warteten neue Eindrücke. Ich glaube, die Überwältigung rührte auch daher, dass ich als junger Erwachsener noch nicht viel von der Welt gesehen hatte. Das Taxi vom Flughafen zum Trainingsgelände teilte ich mir mit Gaël Clichy, der auch neu in London angekommen war und mit dem ich michauf Anhieb verstand. Lustigerweise spielt er mittlerweile für meinen VereinServette Genf“, erzählt der 37-Jährige mit einem Schmunzeln.



Zu jener Zeit waren verschiedene Top-Klubs aus ganz Europa am Innenverteidiger-Talent aus der Schweizinteressiert. Unter anderem auch der FC Bayern. „Meine Familie und ich waren zweimal zu Gesprächen in München. Schon zur damaligen Zeit waren die Bayern ein Weltverein und man hat sofort gemerkt, mit welcher Professionalität und Seriosität in dem Klub gearbeitet wird. Jedoch hatte ich bei Arsenal ein besseres Bauchgefühl. InsbesondereArsène Wengerstrahlte eine unglaubliche Ruhe und Aura aus, die beeindruckend war“, sagt Senderos, der die Entscheidung demnach nicht gegen die Bayern fällte, sondern für „die Traumerfüllung aus Kindertagen, irgendwann einmal in derPremier League spielen zu dürfen“, erinnert er sich zurück.


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Philippe Senderos (r.) und Cesc Fàbregas 2005 im Trikot des FC Arsenal


Im ersten Jahr entschied sich der Abwehrmann gegen eine eigene Wohnung in London und wurde stattdessen vom Klub zu einer Gastfamilie vermittelt. Mit ihm zog auch ein junger spanischer Nachwuchsspieler ein. „Er stellte sich bei mir schüchtern als Cesc vor. Wir merkten ziemlich schnell, dass wir auf gleicher Wellenlänge liegen, auch weil wir den ganzen Tag über unsere Träume im Fußball sprachen. Wir haben uns gegenseitig gepusht undimmer klargemacht, wenn wir hart genug arbeiten würden, dann könnten wir es bis nach ganz oben schaffen. Noch heute sprechen wir gerne über die Anfangszeit in London“, so Senderos über seine Freundschaft zu Cesc Fàbregas, der nicht nur eine Ära bei Arsenal prägen sollte, sondern u.a. zweimal Europa- und einmal Weltmeister wurde.


Fàbregas auf Platz 2 Senderos' häufigste Mitspieler

Senderos beim FC Arsenal „nie der Typ, der mit einem Maserati angeben musste“


Während sich der Innenverteidigerin seiner ersten Saison noch gedulden musste, kam er im Jahr darauf auf 13 Einsätze in der Premier League,zusätzlich debütierte er für die Schweizer Nationalmannschaft. Darüber hinaus gewann Senderos mit Arsenal den englischen Pokal und den Superpokal. Sich mit 19 Jahren so auf der Überholspur zu befinden, kann mitunter dafür sorgen, dass man überschwänglich reagiert und abhebt. Doch Senderos blieb während seiner Zeit in London ohne Skandale. „Meine Eltern haben mir bereits als Kind mit auf den Weg gegeben, dass ich demütig und bodenständig bleiben soll, auch wenn ich vielleicht mehr besitzen sollte als die anderen.“ Er habe das Leben außerhalb des Fußballplatzes „natürlich“ genossen „und mir auch etwas gegönnt“, aber es sei ihm auch immer wichtig gewesen, „eine Balance zu finden. Ich war nie der Typ, der rausgegangen ist und unbedingt mit einem Maserati angeben musste. Ich wollte als Fußballer und aufgrund meiner Leistungen auf dem Platz auffallen. Das ganze Drumherum und der ganze Rummel um den Fußball habenmich wenig interessiert“, betont er.


Leistungsdaten

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P. Senderos Innenverteidiger

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FC Arsenal

Gesamte Leistungsdaten
Alle Wettbewerbe

Spiele

117

Tore

4

Vorlagen


Seine Zeit bei den„Gunners“ bezeichnet der Ex-Profi als sehr familiär. „Man wirft ja häufig Fußballern vor, insbesonderewenn sie Weltstars sind, sie wären arrogant, aber ausgerechnet die Weltstars sind extrem bescheiden und unfassbar hilfsbereit. Insgesamt war meine Zeit bei Arsenal geprägt von tollen Menschen, denen ich begegnen durfte. Speziell muss ich hier Thierry Henry,Patrick Vieira undDennis Bergkamp nennen. Egal, welche Frage du hattest, sie hatten immer ein offenes Ohr für dich. Teilweise sind sie sogar aktiv auf dich zugekommen und haben dir gezeigt, welche Fehler du im Training gemacht hast und wie du sie abstellen konntest. Die drei Jungs verdienen meinen größten Respekt“, betont Senderos.



In den nachfolgenden Spielzeiten erhöhte sich die Anzahl von Einsätzen kontinuierlich, wenngleich es nie zur unumstrittenen Stammkraft reichte. Ein Grund dafür war die über Jahre namhafte Konkurrenz wie Sol Campbell,Kolo Touréoder William Gallas. Einige warfen Senderos sogar vor, ihm wäre der Durchbruch bei Arsenal nie gelungen. „Ich glaube, Kritiker werden immer etwas finden. Am Ende geht es nicht darum, die Kritiker zufriedenzustellen, sondern eine innerliche Zufriedenheit bei sich selbst zu finden – und die habe ich gefunden. Als kleiner Junge habe ich geträumt,irgendwann einmal Fußballprofi werden zu dürfen, diesen Traum habe ich mir erfüllt. Und darum geht es im Leben doch, sich Ziele und Träume zu setzen und diese mit harter Arbeit und ein bisschen Glück zu realisieren.“


Verletzungen warfen Ex-Arsenal-Profi Senderos immer wieder zurück


Während er auf Vereinsebene immer wieder um Anerkennung kämpfen musste, war Senderos in der Schweizer „Nati“ gesetzt. Mit den „Eidgenossen“ nahm er an mehreren Europa- und Weltmeisterschaften teil. Sein Ruf als Kämpfer und Leader wurde spätestens während der WM 2006 in Deutschland im Gruppenspiel zwischen der Schweiz und Südkorea untermauert,als sich Senderos bei einem gewonnen Kopfballduell, welches zum 1:0 führte, eine Platzwunde im Gesicht zuzog und trotzdem weitermachte. Im Laufe der Partie musste er später aber doch verletzt aufgeben, nachdem er sich zusätzlich die Schulter auskugelte.


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Senderos im Duell gegen Südkorea bei der WM 2006


Dass Senderos eine noch größere Karriere verwehrt blieb, hing auch mit den Verletzungen zusammen, mit denen er immer wieder zu kämpfen hatte. „Ich glaube, das Südkorea-Spiel war sinnbildlich für meine Karriere. Immer dann, wenn es halbwegs gut lief, war irgendwas, aber ich verfluche meinen Körper nicht, denn der Weg, den ich gegangen bin, hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin, mit all der Lebenserfahrung.“ Dennoch habe es Momente, insbesondere in der Reha, gegben in denen er den Tränen nahe gewesen sei. „Jedoch war jede Reha auch ein Charaktertest für mich. Ich habe sie als Boxkampf angesehen.Ich musste fighten für mich und das, was ich liebte und liebe, nämlich den Fußball. Es wird im Leben immer Hindernisse geben, es kommt nur darauf an, wie du mit diesen Hindernissen umgehst“, betont Senderos.




Senderos machte sich frühzeitig Gedanken über Zeit nach Karriereende


Nach einer einjährigen Leihe bei der AC Milan folgten u.a. noch der FC Fulham, Aston Villa, die Grasshoppers Zürich, die Glasgow Rangers, Houston Dynamosowie derFC Chiasso als Stationen in der Laufbahn von Senderos. Aufgrund der Abnutzungsspuren an seinem Körper entschied sich der Innenverteidiger 2019, mit dem Fußballspielen aufzuhören. In das „mentale Loch“, von dem viele Ex-Profis nach ihrem Karriereende sprechen, fiel er nicht, auch weil er vorsorgte und frühzeitig die Phase der Neuorientierung einläutete. „Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn andere über deinen Werdegang entscheiden und du quasi zu deinem Karriereende gezwungen wirst. Während meiner Zeit in den USA habe ich mir aktiv Gedanken gemacht, was ich in der Zukunft machen will und habe dementsprechend die Grundsteine gelegt“, erklärt er.



Senderos absolvierte verschiedene Hospitationen bei der UEFA und FIFA und bildete sich zusätzlich beim spanischen Fußballverband im Bereich Sportmanagement weiter. „Schon während meiner Karriere habe ich angefangen, viele Bücher aus verschiedensten Wissensgebieten zu lesen, auch um meinen Kopf fit zu halten. Jedes Praktikum hat mir geholfen, mein Netzwerk zu erweitern, zu erkennen, wohin ich will, wohin ich nicht willund möglichst viel Wissen und Erfahrungen zu bekommen“, sagt der 37-Jährige.


Im Detail Servettes Kader 2021/22

2020 erfolgte dann die Rückkehr zu Servette Genf als Sportdirektor. Obwohl der Klub eine traditionsreiche Geschichte hat, war er in den letzten Jahren nicht auf Rosen gebettet. Dementsprechend gehört er zu einem Kreis von Vereinen mit den geringsten finanziellen Mitteln in derSuper League und trotzdem erreichte man in der vergangenen Saison Tabellenplatz drei.


Identifikation und Leidenschaft sind dabei die beiden Erfolgsfaktoren, wie Senderos erklärt. „Wir wollen ausschließlich Spieler in unseren Reihen haben, die wirklich Bock darauf haben, für Servette zu spielen und sich voll und ganz mit den Werten des Vereins identifizieren können. Irgendwann wäre es natürlich schön, wenn wir wieder ganz oben in der Tabelle stehen könnten. Es ist ein weiter Weg, aber wir arbeiten daran. Wir positionieren uns auch ganz klar als Ausbildungsverein und Sprungbrett für junge talentierte Spieler, denn Servette kann für jeden jungen Spieler ein guter Ausganspunkt für eine tolle Karriere werden“, sagt Senderos zum Abschluss mit einem Augenzwinkern.


Interview und Text von Henrik Stadnischenko


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